Im ersten Teil der Serien „Facetten der Klimakrise“ soll es um Tiere gehen. Genauer gesagt, um Tiere und deren Produkte, die Menschen in Form von Scheiben unterschiedlicher Dicke oder als Brotaufstrich verzehren. Und noch genauer gesagt soll es um die organisierte Verkettung sozialer, politischer, kultureller und ökonomischer Mechanismen gehen, die diesem Konsum von Tierprodukten zu Grunde liegt. Und natürlich, was das mit der Klimakrise zu tun hat. Es soll um „Tierindustrie“ gehen.
„Tierindustrie“ ist technisch gesehen kein korrekter Begriff. Es umreißt das, was auf Englisch „factory farming“ und „animal agriculture“ genannt wird, also die Nutzung von Landflächen mit dem Ziel der massenhaften Aufzucht von Nutztieren, entweder als Konsumprodukte (Fleisch, Gelatine) oder als Quelle weiterer Konsumprodukte (Milch, Eier). Im Beispiel: Tierindustrie bedeutet das Großziehen eines Schweins, das Anbauen des Schweinefutters, die Unterbringung des Schweins sowie die Schlachtung und Weiterverarbeitung des Schweins in Nahrungsmittel, die man nach dem Fleischtransport im Discounter kaufen kann. Die vielschichtige Beschaffenheit dieses ganzen Bereichs der Tierindustrie ist – wie schon bei der Klimakrise selbst – auch ein Problem, und zwar für die Forschung. Je nach Ansatz, Studie, oder Forschungsinstitut unterscheiden sich nämlich die Ergebnisse, die Wissenschaftler:innen der Welt präsentieren können. Also: je nachdem was ich alles unter „Tierindustrie“ verstehe, unterscheidet sich der Einfluss des Bereichs auf das Klima (der meist in der Form von Treibhausgasen [GHG] formuliert wird). Und das ist ein ganz neues Problem: Klimakrisen-Leugner legen die diversen wissenschaftlichen Aussagen zu ihren Gunsten aus und werfen der Wissenschaft vor, sich die Ergebnisse nur auszudenken. Aber dazu an anderer Stelle mehr.
Tierindustrie nicht gleich Tierindustrie?
Wie kann also die Tierindustrie verschieden starke Einflüsse auf das Klima haben? Das IPCC erklärt in einem Report, dass 24% alle globaler Emissionen aus Agrikultur, Forstwesen und anderer Landnutzung entstehen. Auch die Food and Agriculture Organization (FAO) der UN erklärt, dass rund zwei Drittel der Emissionen aus dem Agrikultur-Bereich direkt von Tieren kommt. Man kommt also irgendwann zu dem Schluss, dass die Tierindustrie – hier bedeutet das lediglich die von Tieren und deren Abfallprodukten ausgestoßene Treibhausgase (Green House Gases, GHG) – 14,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen ausmacht.
14,5 Prozent können viel erscheinen – oder aber doch so wenig, dass man sagen könnte: „So schlimm ist das nicht. Dann fahre ich eben weniger Auto. Oder fliege einfach weniger – und schon ist das Problem gelöst.“
Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Sicherlich liegt die IPCC nicht falsch – für viele Aktivisti greift diese Analyse und diese Fassung von „Emissionen aus der Tierindustrie reduziert auf Tierkörper und Gülle“ zu kurz. In das Extrem der anderen Richtung geht etwa das (in der Literatur schon bis zur Ermüdung) vielzitierte Paper “Livestock and Climate Change” von Goodland & Anhang, welches als Antwort auf eine Studie der FAO (auf die sich wiederum die IPCC stützt) verfasst wurde. In „Livestock’s Long Shadow“ ermittelte die FAO, dass sich der GHG-Impakt der Tierindustrie auf 14,5 Prozent globaler Emission beläuft. Goodland und Anhang vom Worldwatch Institute kritisierten die Studie und erklärten, dass der „Schatten“ der Tierindustrie sehr viel länger sei, und dass die FAO wichtige Faktoren ignoriert oder falsch zugeordnet hätte.
Verkürzt dargestellt bedeutet das folgendes: Das IPCC und FAO sagen, dass die einzigen CO2-Äquivalente der Tierindustrie, die gezählt werden sollten, die Emissionen von den Tieren direkt sind. Alles andere gehört entweder zu anderen Sektoren (Industrie, Transport, etc.) oder wird bereits vorher ausgeglichen (weil Tiere etwa Teil des ausbalancierten Ökosystems sind).
Internalisierung Vs. Externalisierung
Goodland und Anhang sagen, dass es ohne den Verzehr von Tieren die Tierindustrie (oder wenn, nur einen sehr geringen Teil davon) überhaupt nicht gäbe. Dementsprechend müsste alles an Emissionen in die Tierindustrie hineingerechnet werden, für welche sie auch verantwortlich ist.
- Die Argumentation beginnt mit dem Ökosystem: Masttiere und Tiere zur Gewinnung von Milchprodukten gehören nicht in die „natürliche“ Ordnung – soll heißen, dass sie nicht „einfach so“ existieren, sondern deshalb, weil Menschen sie gezüchtet haben. Sie fallen also – wie etwa gebaute, „unnatürliche“ Autos – völlig aus der Balance-Rechnung heraus. Anders gesagt: Der natürliche Kreislauf als geschlossenes System existiert nicht, weil Menschen ihn durch die massenhafte Aufzucht von Tieren aufgebrochen haben.
- Dann folgen die Emissionen, die von den Tieren selbst kommen – Methangase, CO2 durch Atmung, etc. – durch den Verzehr von Futtermitteln • Für den Anbau der Unmengen an Futtermitteln braucht es Ackerfläche. Also werden hierfür jede Menge Waldflächen gerodet – meistens durch Brandrodung, wodurch das von den Bäumen gespeicherte CO2 ausgestoßen wird. Das müsste mit auf die Rechnung der Tierindustrie. • Bäume haben dazu ein CO2-Absorptions-Potential. Wie ein Schwamm saugen sie CO2 auf – was natürlich nicht mehr geht, wenn man sie alle verbrannt hat. Dieses verlorene Potential lässt sich errechnen – und müsste auch auf den Deckel der Tierindustrie.
- Die Getreidemonokulturen wurden bereits erwähnt – diese Art des Anbaus sorgt dafür, dass der Boden komplett ruiniert wird, und dadurch auch nicht fähig ist, CO2 aufzunehmen. Wieder ein wenig Potential weg, wieder mehr auf der Rechnung.
- Da der Bedarf an tierischen Produkten stetig wächst, braucht man auch mehr Futter. Um effizient zu sein, setzt man Düngemittel ein – Phosphor und Nitrate. Und davon zu viel; so viel, dass der Boden übersäuert und sich die überschüssigen Phosphore und Stickoxide in der Atmosphäre anreichern. Diese Gase haben ein vielfaches an GHG-Potential – und gehören auch auf die Rechnung.
- Monokulturen und übersäuerter Boden zerstören den Humus, der wieder Treibhausgase sowie Nähstoffe binden kann. Ohne Humus braucht man mehr Dünger – und so weiter.
- Last, but not least: die Transporte. Technisch gesehen gehört das Transportwesen und deren Emissionen einem anderen Sektor an – Verkehr etc. Allerdings wäre der Transport von tierischen Produkten nicht notwendig, gäbe es keine tierischen Produkte. Also, wieder zu Tierindustrie.
Goodland & Anhang kommen durch diese Argumente zu dem Schluss, dass die Tierindustrie über die Hälfte aller globalen CO2e-Emissionen ausmacht. 50 Prozent vs 15 Prozent – ohne dass sich die Anzahl der Tiere verändert. Welcher Zahl sollte man glauben?
Diese Studien werden oft zitiert, von anderen Studien oder anderen Büchern, die sich mit dem Thema beschäftigen. Leider sind die Zahlen dieser Studien mitunter mehr als zehn Jahre alt – genug Zeit, damit sich die Statistiken noch verschlechtern konnten. Doch bei immer düsteren Aussichten weltweit kann man immer noch vielen Stimmen hören: „Ja das ist aber weltweit, da kann ich nichts für“. Oder: „Die Anderen, die essen doch so viele Burger.“ Oder: „Der Regenwald in Brasilien, der ist doch so groß, das geht schon.“
A schnitzel a day
Am 15. März hat das Deutsche Umweltbundesamt einen jährlichen Bericht herausgegeben, der sich mit dem Einfluss der Tierindustrie auseinandersetzt – und zwar hier in Deutschland. Pro Kopf essen Deutsche 60 kg Fleisch pro Jahr – das sind 4,8 Millionen Tonnen Fleisch (wieder so eine abstruse Zahl). Das kommt andersherum gerechnet pro Person auf 165 Gramm pro Tag – das ist ein Steak, oder ein Schnitzel. JEDEN TAG. Diese Hochrechnung schließt Milchprodukte nicht mit ein, also weder Milch, noch Käse, oder Butter (hier kommt man auf 49,5 kg Konsummilch, was alle drei Gruppen einschließt, für 2019). Hier kann man vor allem das Argument verorten, dass die Milch von Kühen doch völlig natürlich wäre und nicht künstlich gezüchtet würde. Allerdings geben nur schwangere Kühe Milch – die künstlich befruchtet werden, allein für den Zweck, eine bestimmte Zeit Milch geben zu können. Kuhmilch gibt es im übrigen aus dem selben Grund, warum es Muttermilch gibt – und die Kinder der jeweiligen Spezies zu ernähren. Und aus Gründen der Sozialisation, Tradition (…) ist es normal, eine Flasche Kuhmilch im Kühlschrank zu haben, eine Flasche Muttermilch hingegen wäre vollkommen verrückt. Sollte man mal drüber nachdenken.
In jedem Fall verbraucht Deutschland große Mengen an Fleisch, die von irgendwoher kommen müssen. In Deutschland werden 19,1 Millionen Hektar Land für den Anbau von Nahrungsmitteln genutzt – 61 Prozent davon für tierische Produkte. Im globalen Rahmen werden 83 Prozent aller Flächen für Tierprodukte genutzt – die ihrerseits nur 37 Prozent aller Proteine und 18 Prozent aller Kalorien liefern. In Deutschland belief sich die Zahl der CO2e-Emissionen 2018 auf 63,6 Millionen Tonnen – 40,4 Tonnen davon gingen allein auf die Tierindustrie zurück. Und noch eine Zahl: würde man alle Flächen aufforsten, die gegenwärtig für den Anbau tierischer Futtermittel verwendet wird, könnte man 4,4 Gigatonnen CO2-Äquivalente fixieren, also aus der Atmosphäre binden. Das ist das zwölffache der jährlichen Emissionen Deutschlands!
TierFabriken – Grotesk und Grausam, aber Billig
Dieser Begriff der Tierindustrie stützt sich hier vor allem auf eine Industrie, die auf der Massenhaltung von Tieren basiert – Tierfabriken, in denen die abartige Misshandlung von Tieren und miserable Arbeitsbedingungen für Menschen die Voraussetzung für eine schnelle und billige Produktion ist. In diesen Factory Farms werden Tiere gezüchtet, die nur als Lebensmittel für Menschen dienen können; sie können manchmal weder gehen noch stehen; sie könnten sich selbst nicht fortpflanzen, wenn sie wollten – das hat man ihnen ebenfalls genetisch ausgetrieben. Durch massenhaft Antibiotika hält man den Großteil der Tiere davon ab, bereits in der Masse zu sterben. Man kann also sehen, dass bei dem ganzen Komplex ‘Tierindustrie’ nicht allein der massive, verstärkende Einfluss auf die Klimakrise ein Problem darstellt – und 51 Prozent der GHG-Emissionen sind wirklich massiv. Nein, auch die Grausamkeit, die wir als Menschen mit einer Seelenruhe und einer Gleichgültigkeit an den Tag legen, um ein wenig Fleisch im Supermarkt kaufen zu können, ist erstaunlich. Psychopathisch, könnte man auch sagen.
Ein kurzer Einschub. Die bisherigen Argumente, Streitpunkte, Behauptungen und so weiter werfen kurz die Frage auf: warum produzieren wir denn nicht weniger? Wenn doch schon das Umweltbundesamt (implizit) sagt, wie effektiv man der Klimakrise entgegenwirken kann, wenn man das Ausmaß der Tierindustrie reduziert (und uns so weniger Tierproduktkonsum ermöglicht), dann sollte man doch meinen, dass das zumindest ein Plan für die Zukunft sein könnte. Unsere Mit-Aktivisti vom Bündnis "Gemeinsam gegen die Tierindustrie" haben genau für diesen Zwecke eine Studie erstellt. Leider belegt sie genau das Gegenteil - hier könnt ihr euch reinlesen. Einschub Ende.
Plötzlich sind alle Protein-Expert*innen
“Aber nur Fleisch macht einen gesund und fit (1, 2), früher konnten wir uns gar kein Fleisch leisten, sei doch dankbar für das gute Fleisch (3), wo soll denn das Protein herkommen (4)”
(entrüstete und viel gehörte Aussagen)
- Stellen wir uns vor, wir gehen zu eine:r beliebigen Ärzt:in und fragen, ob es denn eine gute Idee wäre, eine zufällige und uns in ihrer Zusammensetzung unbekannte Mischung Antibiotika zu schlucken. Vermutlich ist die Antwort eher “nein”.
- Zoonosen. Also Krankheiten, die von Tier auf Mensch und anders herum übertragbar sind. Solche Krankheiten entstehen seit der Massentierhaltung am laufenden Band, von der Schweinepest zur Vogelgrippe zu jeder anderen Variante von “H Zahl N Zahl” (H5N1 = Vogelgrippe).
- Stimmt – jetzt ist Fleisch billig. Weil wir Tiere schlimmer behandeln als Dinge, die wir nicht mögen und Arbeiter:innen so gut bezahlen wie Leibeigene. So wie bei Tönnies.
- Das Protein bekommen wir aus Pflanzen. Und Nüssen. Dingen, die wir eben nicht töten müssen.. Die Idee, dass ein Lappen Tierkadaver ein besserer Proteinlieferant sein soll als eine Bohne kommt aus dem Marketing – nicht aus der Wissenschaft. Quasi ein Verkaufstrick. Warum wohl haben Menschen, die viel Fleisch konsumieren eher Herz- oder Darmbeschwerden als diejenigen, die wenig oder keines Essen? Liegt bestimmt an dem vielen Kuchen.
Bio = Besser?
“JA aber Fleisch aus Nicht-Massentierhaltung ist viel besser. Das ist Bio, und die haben voll viel Platz zum grasen – und ich hab gehört, dass das richtig gut für die Erde ist, und sogar notwendig, damit das Klima besser wird”.
Diesen Einwand kann man oft hören. Das Argument hier ist, dass die Tiere dabei helfen, die Erde immer wieder zu erneuern und den Boden und Humus dazu bringen, CO2 aufnehmen zu können. “Regenerative Grazing” und “Holistic Management” nennt sich das, und kommt schon mit einer Atmosphäre des “sauberen Verbrenners” daher. Es stellt sich heraus: braucht man nicht. Regenwürmer und Co. sorgen super dafür, dass unsere Erde ein CO2-Schwamm bleibt. Und es ist zwar schön sich vorzustellen, wie glücklich die Kühe und Schafe etc. auf den offenen Flächen sind – an dem immensen Emissionsausstoß ändert das leider nicht viel, und geschlachtet werden die Tiere auch. Die Politik, Unternehmen, Bauern und andere Produzenten der Tierindustrie (wenn auch nicht von Legebatterien) suchen hier wiederum nur nach Entschuldigungen und Möglichkeiten der Vermarktung. “Greenwashing” bleibt Greenwashing„.
was tun?
Es könnte nun eine ganze Weile so weiter gehen – mehr Zahlen, Fakten und Daten für die Einsparung von CO2 durch Carbon Capture Technology als Rechtfertigung für mehr Fleischkonsum. Mehr Konsum allgemein (dazu aber an anderer Stelle mehr).
Fakt ist: die Tierindustrie hat einen gewaltigen Einfluss auf die menschengemachten GHG-Emissionen, auf die Klimakrise, auf unsere Zukunft und unser Selbstverständnis als Menschen auf diesem Planeten. Jetzt könnte ein Argument lauten – „hm, das ist ja schon mehr Einfluss auf die Klimakrise als ich dachte. Aber so Ölkonzerne sind doch viel schlimmer, sollten wir nicht da anfangen?“
Anfangen muss man irgendwo, da ist das eine wie das andere ein guter Punkt. Aber wir lassen das mal hier, so als Kontext.
Glücklicherweise kann die Wissenschaft aber nicht nur rekapitulieren, wie schlecht es um uns steht – auch Tips, Tricks und Ratschläge kann man finden, wenn man sucht. Hier ein paar davon.
- Vegane Ernährung hilft dem individuellen CO2-Footprint. Eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit und Geschichte dieses Fußabdrucks ebenfalls an anderer Stelle – ein sehr interessantes Thema. Jedenfalls kann ein Individuum einen großartigen Beitrag leisten, indem die Ernährung auf die Veganer umgestellt wird. Und das kann ein ziemlich großes Opfer für viele darstellen – Gewohnheiten ändern ist niemals leicht. In diesem Falle ist es aber mehr als notwendig. Klar braucht es dafür eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Art, wie man isst – aber mehr Bewusstsein beim Essen wirkt sich auch auf mehr Bewusstsein in anderen Lebensbereichen sehr positiv aus. Regionale Produkte etwa fördern regionale Produzenten und sind laut einer Studie nicht ganz so schlecht fürs Klima
- Vegane Ernährung wäre zu krass? Schritt für schritt ist völlig okay. Hier kann man die Sprichwort von vom Himmel fallenden Meistern bemühen, das muss aber nicht sein. Jedenfalls ist jeder Anfang schwer; man kann anfangen mit Meatless Mondays, oder zwei, drei Tagen die Woche. Dann gibt es vielleicht nur noch einen Fleisch-Tag pro Woche. Eine andere, gute Alternative ist auch das: keine Tierprodukte vor dem Abendessen. Eine Studie des Johns Hopkins Centers belegt, dass Menschen viel mehr für die Reduktion des GHG-Fußabdrucks tun können, indem sie sich größtenteils pflanzlich ernähren und dies ab und an mit “low-impact meat” kombinieren – also Hühnchen. Dies würde um einiges geeigneter sein als komplett auf Fleisch zu verzichten und sich stattdessen stark auf Milchprodukte zu stützen.
- Ernährung und Nahrungsmittelkonsum als etwas Bewusstes zu empfinden hört sich vielleicht einfach oder zu billig an – aber wenn wir uns unserer Rolle gewahr werden, die wir in dem Spannungsfeld Tierindustrie – Mensch – Klimakrise spielen, ist dies schon der erste Schritt. Natürlich kann eine einzelne Person die Tierindustrie nicht beenden – dafür ist sie viel zu stark gefördert und subventioniert. Jedoch ist es äußert wichtig, dass sich Einzelne nicht als machtlos in einem System hyperkapitalistischer Großkonzerne begreifen (“ich kann doch sowieso nichts ausrichten”) – und sich dadurch frei von Verantwortung machen. Selbst die Gelegenheit zu ergreifen und auf persönlicher Ebene aktiv werden, sich in Gruppen zusammen tun – dann lässt sich auch etwas erreichen.
Die EAT-Lancet Commission bezeichnete die Ernährungsumstellung sogar als das wirksamste Mittel zur Treibhausgasreduktion, das ein Individuum ergreifen kann.
Auch hier wird wieder die Besonderheit der Klimakrise deutlich: Die größten Verursacher – so wie unter anderem die Tierindustrie – werden nicht belangt; stattdessen sollen Konsument*innen wieder die Folgen ausbaden. Und das ist alles andere als fair – aber es ist gegenwärtig Realität. Statt die Verantwortung allerdings abzuwälzen sollten wir mit der Veränderung bei uns anfangen. Auf unser eigenes Verhalten haben wir Einfluss – und gemeinsam können wir die Gesellschaft beeinflussen!
was hat das mit gerechtigkeit zu tun?
Bleiben wir beim Beispiel von Menschen in Deutschland: wie oben gezeigt, kann Deutschland für sich selbst nicht ausreichend Tierprodukte für den Konsum anbieten, sodass Fleisch importiert wird, welches an anderer Stelle viel billiger produziert werden kann, was unter anderem an fehlenden Arbeitsschutzgesetzen und extrem unzureichendem Natur- und Artenschutz etc liegt (Brasilien ist ein gutes Beispiel dafür.). Klar erhalten manche Menschen dadurch einen schlecht bezahlten Arbeitsplatz, denn Regenwald rodet sich nicht von alleine. Aber vergleichsweise viel mehr Menschen leiden unter den klimakatastrophalen Folgen der Brandrodung und Bodenerosion, die Menschen in Europa mit ihrer Fleischnachfrage vermeintlich anschüren.
Wir dürfen dabei aber nicht aus dem Blick verlieren, dass wir als einzelne Konsument*innen nicht die Hauptverantwortlichen sind. Natürlich essen wir Fleisch, Milch und Fisch (und das in einer zu selbstverständlichen Art und Weise), aber die Treiber dieser Krise sind die Großkonzerne, die hinter der immer billigeren Produktion stehen. Großkonzerne, die Tierfabriken aufbauen und die Grausamkeit immer profitabler gestalten. Großkonzerne, die ihren Gewinn durch Sklavenarbeit auf Fischkuttern erzielen können. Für Klimagerechtigkeit, Arbeitsgerechtigkeit – Lebensgerechtigkeit – sollten wir alle genau betrachten, wie wir uns ernähren. Denn das hängt unmittelbar damit zusammen, wie viele Leben im Globalen Süden zerstört werden.
Natürlich soll dabei nicht vergessen werden, dass sich nicht alle Menschen einen radikalen Lebensstilwechsel ohne weiteres leisten können. Auch das ist ein Trumpf, den Konzerne ausspielen können – billiges Fleisch lässt sich viel einfacher erwerben, was zu mehr Konsum führt, was zu mehr Produktion führt, für welche Arbeiter*innen beschäftigt werden, die für niedrigste Löhne arbeiten, die dadurch weniger Kaufkraft haben und sich freuen, dass wenigstens das Fleisch so billig ist.
Was dagegen hilft, und was als erster Schritt an sich absolut bewundernswert ist: im Angesicht dieser riesigen Problemverhältnisse (Sklaverei, Ausbeutung, Leben & Tod) nicht die Hoffnung verlieren und aufgeben. Dort sollten priviligierte Menschen des Globalen Nordens anfangen, Verantwortung zu übernehmen und für Veränderung zu arbeiten. Auf Großkonzerne habe ich als einzelne Person keinen Einfluss – sehr wohl aber darauf, wie ich konsumiere. Vielleicht bedeutet das, ein Abendessen pro Woche ohne Fleisch zu gestaltet – für manche ist das ein großer Schritt. Vielleicht besteht irgendwann kein Abendessen mehr aus Tierprodukten. Vielleicht steigt ihr von Butter auf Margarine um.
baby steps
Solche Schritte machen einen guten Anfang, auch wenn sie uns sehr klein erscheinen und uns denken lassen, „was, wenn das gar keine Wirkung in der Zukunft hat?“. Die britische Psychotherapeutin hat in einem Buch (zugegeben, über Kindererziehung) geschrieben, dass Menschen sehr oft dazu tendieren, sich „was ist, wenn“-Geschichten über die Zukunft erzählen. „Was ist, wenn ich meine ganze Ernährung umstelle, und in Zukunft trotzdem nichts besser wird?“. Statt darüber zu fantasieren, was in der Zukunft möglicherweise, vielleicht passieren könnte, sollten wir uns darauf konzentrieren, was in der Gegenwart funktioniert. Wenn ihr es in der Gegenwart hinbekommt, etwas so Fundamentales wie eure Ernährung klimagerechter zu gestalten, leistet ihr bereits einen großartigen Beitrag. Und das schöne an solchen Veränderungen ist: sie zeigen, dass Veränderung nicht schwierig oder schlimm sein muss und uns (z.B. gesundheitlich) sogar gut tun können.
Solche individuellen, kleinen Schritte sind oft der Anfang von größeren Aktionen – von Zusammenschlüssen, Gemeinschaften und Bündnissen, die viel mehr als „nur“ eine Person ausrichten können. Die gegen staatliche Subventionierung völlig aus der Zeit gefallenen und nur noch durch Tradition legitimierten Praktiken (warum trinken wir Kuhmilch?) kämpfen können, die gegen Lobbyismus demonstrieren und sich in Gruppen gegen Billiglöhne, kranke Lebensmittel und Ausbeutung organisieren können.
Der Autor Jonathan Safran Foer, der sich mit der Tierindustrie und der Klimakrise von moralischen und Ich-bezogenen Perspektiven genähert hat, beschreibt es treffend: